Eine Dame wartet auf den dritten Frühling

Erneut droht ein Stück Schaffhauser Geschichte für immer zu verschwinden: Der holländische Eigner der MS „Munot“ sucht in Schaffhausen einen Käufer für das historische Dieselschiff. Sonst bleibt nur die Verschrottung.

Der Industriehafen von Drachten hat schon bessere Tage gesehen, an den Pollern hängt im Winter kein Schiff. „Hier ist es“, sagt Jan Hofstra, Reiseunternehmer und Pfarrer, und setzt den Blinker. Da liegt sie, die MS „Munot“: Gebaut 1935 von der Motoren- und Schiffbau GmbH Bodanwerft in Kressbronn am Bodensee für die Schweizerische Dampfbootgesellschaft Untersee und Rhein (heute URh). Baunummer 304, getauft am 20. Juni 1936 im Beisein von Dr. Oscar Sulzer. Der Direktor äußerte damals die Hoffnung, dass die „Munot“ nicht ganz so alt werde wie die Dampfschiffe, welche die URh damals einsetzte. Aber die „Munot“ hat es dem Firmenchef gezeigt: Ihren zweiten Frühling hat die eiserne Lady mit ihren knapp 78 Jahren schon hinter sich. Jetzt hofft sie auf einen dritten. In Schaffhausen.

Zwischen 1936 und 1996 war die „Munot“ für die URh auf dem Rhein unterwegs, dann wurde dieses Stück Schaffhauser Geschichte verkauft an den Unternehmer Jan Hofstra, der nun mit dem Schlüssel die Seitentür der „Munot“ aufschließt. Der Name ist geblieben, sogar der Schriftzug mit dem mittig angehängten Jugendstil-N ist noch original. „Man tauft Schiffe nicht einfach um, außerdem hat die Munot eine Geschichte, die zum Schiff gehört“, sagt Hofstra.

Mit seinen 68 Jahren will sich Hofstra aus dem Berufsleben zurückziehen. Inzwischen hat einer der Söhne das Reiseunternehmen übernommen, will aber auf die Fahrten mit der „Munot“ verzichten, zumal auch das Publikumsinteresse an solchen Touren zurückgegangen ist. „Der Tourismus spürt die Krise“, sagt Hofstra und schiebt die Tür auf.

Ein Schiff im Originalzustand

Während langer Jahre bildete ein Ehepaar die Crew der „Munot“; als dieses sich aus gesundheitlichen Gründen zurückzog, gingen auch langjährige Kundenbeziehungen verloren. Der neue Kapitän setzte bei einem ungeschickten Manöver den Bug des Schiffes an die Kaimauer, dabei wurde das Bugzeichen der „Munot“ – das in Metall gegossene Wappen der Stadt – so stark beschädigte, dass es abmontiert werden musste. „Bald darauf habe ich den Mann entlassen müssen“, erinnert sich Hofstra, der nun im überdachten Eingangsbereich der „Munot“ steht: Die beiden seitlichen Balkone, die für den Transport des Schiffs nach Holland abgeschnitten wurden, hat Hofstra nicht wieder anbringen lassen, das macht aber nichts, denn diese beiden Ausbuchtungen wurden auch von der URh erst nachträglich installiert: Der Schiffsrumpf hat nun also wieder die ursprüngliche Form. Das gilt übrigens nicht nur für den Rumpf, sondern generell für die alte Dame: Gleich eingangs findet sich noch heute der Billettschalter, bugwärts führen ein paar Tritte hinab in den Salon, in welchem die Gäste der ersten Klasse bewirtet wurden. Resopaltischplatten, dazu Stühle mit genietetem Polster: rot, passend zum Fussboden. Holz überspannt Wände und Decken, im Buffet mit Glasscheiben stehen noch Gläser. Der Zahn der Zeit hat hier überall zumindest geknabbert, das gilt auch für die gegen das Heck gelegene, in Grün gehaltene 2. Klasse. Es ist offensichtlich: Die „Munot“ braucht eine Überholung. Die Holzteile warten auf einen neuen Anstrich, an besonders dem Wetter ausgesetzten Stellen – davon hat ein Schiffe viele – blättert die Farbe ab, darunter kriecht der Rost hervor. Aber noch immer ist die „Munot“ für die Fahrt auf den holländischen Gewässern bis zu den Watteninseln zugelassen.

Wenig auszurichten vermochte der Zahn der Zeit im Führerstand: Das Holzlenkrad hat die Jahre gut überstanden, rechts daneben ist der Hebel für die Regelung der Motorleistung, von dem eine Kette hinabführt zum Herzen der „Munot“, dem von der Maschinenfabrik Sulzer gelieferten Dieselmotor.

IG konnte Verkauf nicht stoppen

Auf die „Munot“ gestoßen ist Hofstra nach einer erfolglosen Suche: Schriftlich erkundigte er sich Mitte der 90er-Jahre bei Schifffahrtsgesellschaften in der Schweiz nach einem zum Verkauf stehenden Schiff. Der einzige Brief, der zurückkam, trug den Poststempel Schaffhausen, die Gespräche begannen. Schließlich war man sich handelseinig: Die URh überließ Hofstra das Schiff zu einem geringen Preis, er wurde aber verpflichtet, die „Munot“ vom Rhein zu schaffen – eine Konkurrenz mit dem eigenen Schiff wollte die URh natürlich nicht. Dieser Passus verhinderte damals auch, dass die eilig gegründete IG Motorschiff Munot das Schiff übernehmen und privat betreiben konnte: Unter der Führung von Nicolas Perrin und Kurt Schüle wurde damals versucht, eine Trägerschaft für die „Munot“ zu finden, breite Kreise zeigten Interesse, doch die Verträge mit Hofstra waren bereits unterzeichnet.

Drei Nächte dauerte der Transport über Land nach Basel, von dort wurde die „Munot“ via Duisburg nach Holland gezogen. Über 100 000 Franken kostete das Ganze laut Hofstra, dazu kamen die Investitionen, welche die Behörden für die Zulassung verlangten. Dann, im Alter von knapp 61 Jahren, begann das zweite, ausschweifendere Leben der „Munot“, welche mit dem Argument, es gebe keine Ersatzteile mehr, verkauft worden war: Sie befuhr den Hafen von Rotterdam, unternahm ausgedehnte Flussfahrten durch Friesland, erreichte auf zehntägigen Touren Berlin, Trier, Passau, Prag und sogar Budapest mit jeweils zwischen 30 und 40 Gästen an Bord. Das Gepäck wurde mit Bussen nachtransportiert, welche die Gäste auch für Besichtigungen abseits der Wasserwege und zu Hotelübernachtungen brachten. Dabei kam die zweite Leidenschaft von Jan Hofstra zum Einsatz: historische Schnauzenbusse Marke Saurer, von denen er eine ganze Halle voll besitzt.

Ein Schmuckstück als Herz

Auf dem Schiff zeigt Hofstra nun auf ein gefrästes Messingschild über einer Tür: „Sulzer Dieselmotor“. Ölgeruch schlägt dem Besucher auf den steilen Stufen hinab zum Herzen der „Munot“ entgegen. Bis zur Decke reicht der Sechszylinder aus dem Jahr 1936, der seit rund 78 Jahren seinen Dienst verrichtet. Sechs Zylinder, 275 PS. Alle Unterlagen und Wartungsberichte mit den Originalplänen, den Werkstattberichten und den Prüfungen sind noch vorhanden und lagern im Archiv von Hofstra. Ersetzt werden musste Anfang 2013 der Antriebsstrang des Schiffes, schuld war weniger die einfache, aber robuste Technik als vielmehr die holländischen Vorschriften: Weil die „Munot“ in Holland nur acht Kilometer pro Stunde fahren durfte, wurde zur Senkung des Tempos die Verbindung zwischen Motor und Schraube jeweils ausgehängt – mit entsprechenden Folgen für die Kupplung. „Aber mit dem Motor gab es nie Probleme“, sagt Hofstra. Und falls das Aggregat doch einmal den zähen Geist aufgeben sollte, hat Hofstra noch Ersatz: Die URh haben ihm beim Kauf der „Munot“ auch den Motor des bereits verschrotteten Schwesterschiffs „Arenenberg“ mitgegeben. Das gute Stück lagert in der Bushalle unweit der „Munot“ und wartet auf einen neuen Einsatzzweck. Natürlich würde Hofstra auch diesen Motor den neuen oder alten Eigentümern mitgeben.

Rückkehr der ersten Generation

Die „Munot“ wäre übrigens nicht das erste Schweizer Schiff, das nach einer langen Karriere auf hiesigen Gewässern und anschließendem Verkauf nach Holland wieder in die Heimat zurückkehrt: Erst im vergangenen November wurde die MS „Oberhofen“, Jahrgang 1940, auf den Thunersee zurückgebracht, wo sie als Charterschiff eingesetzt werden soll. Ein Privater hat das 30-Meter-Schiff zurückgekauft und der BLS geschenkt. Zuvor war das Schiff aber in Holland wieder instand gestellt worden, ein Vorgehen, dass sich auch bei der „Munot“ aufdrängen würde. Laut Nicolas Perrin, der früher einmal einen Kostenvoranschlag für eine Umnutzung der „Munot“ als Hausboot hatte erstellen lassen, würden die Investitionen bei rund einer Million Franken liegen – Kauf, Sanierung und Transport inklusive.

Zurückhaltung bei der URh

Fragt man bei URh-Direktor Walter Herrmann nach, gibt es kein kategorisches Nein zu einer Prüfung: „Ich kenne aber weder den Zustand des Schiffes noch die Kosten für eine Aufrüstung“, sagt Herrmann. Aber es gebe Argumente, welche gegen ein Engagement sprächen: Als Reserve für die vier großen Fahrgastschiffe der URh dient die MS „Stein am Rhein“, ein leicht kleineres Dieselschiff aus dem Jahr 1956, das ebenfalls historisches Ambiente versprüht, aber immer noch größer ist als die „Munot“. Herrmann: „Die alte ‚Munot‘ würde in der jetzigen Situation nicht in das Fahrplan- und Kursangebot der URh passen, dafür ist sie zu klein.“ Denkbar wäre, dass mit dem Dieselschiff ein neues Angebot kreiert würde. „Dafür bräuchte es eine gute Geschäftsidee“, sagt Herrmann, der überzeugt ist, dass ein solches Objekt seine Liebhaber finden könnte.

Zum Kreis der Liebhaber gehört sicher auch Nicolas Perrin. „Antrieb und Steuerung sind noch original, ich kenne auf Schweizer Gewässern kein vergleichbares Schiff“, schwärmt Perrin. Er hatte sich nach dem „Munot“-Verkauf auch bei der Veräußerung der MS „Kreuzlingen“ für eine Lösung eingesetzt, welche einer breiteren Öffentlichkeit den Zugang zum Schiff erlaubt hätte. Nun nochmals in federführender Rolle auftreten will er nach zwei vergeblichen Anläufen nicht mehr. „Aber wenn sich die ‚Munot‘ retten ließe, wäre ich schon dabei“, sagt er.

Aus früheren Fehlern lernen

Für Hofstra ist klar, dass er ohne einen Weiterbetrieb im Reiseunternehmen auch kein weiteres Geld in die „Munot“ investieren wird. Weil die laufenden Kosten aber dennoch anfallen, sucht er nach einer Lösung, für die er auch verhandlungsbereit wäre. Über den Preis könne man reden. „Für mich steht im Vordergrund, dass das Schiff in gute Hände kommt“, sagt Hofstra. Im schlimmsten Fall droht der „Munot“ eine kurze und zerstörerische Bekanntschaft mit einem Schneidbrenner – ein Schicksal, welches das Dampfschiff „Schaffhausen“ ereilt hat und das heute reihum beklagt wird.

Dieselschiffe - Jetzt droht der ersten Generation die Zerstörung

Die MS „Munot“ gehörte zur ersten Generation von Dieselschiffen, die auf den Schweizer Gewässern eingesetzt wurde: Diese neuen, vom Bauhaus-Design inspirierten Schiffstypen begannen die Raddampfer zu verdrängen, welche in der Folge ausgemustert und nicht selten verschrottet wurden. Jetzt droht den Dieselschiffen dasselbe Schicksal: Nur noch wenige Exemplare der Zwischenkriegszeit stehen im Einsatz oder sind dem Schweißbrenner entgangen. Mit jeder weiteren Verschrottung wird die Gruppe der Zeitzeugen dieser Epoche kleiner. Eines Tages – so warnen Experten – könnte die Aufgabe dieser Schiffe ebenso bitter bereut werden, wie jene der Dampfschiffe. 

(Robin Blanck/Schaffhauser Nachrichten v. 11.01.14)

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